Warum aber sieht jeder ein, dass der Satz Unsinn ist? Der Satz ist Unsinn, weil uns völlig unsprachlich die Welt präsent ist und wir diesen Satz, der sprachlich vorliegt, mit der Welt vergleichen, die uns unsprachlich vorliegt. Wir haben also zuerst UNSPRACHLICH ein Bild der Welt und das drücken wir dann sprachlich aus. Nicht umgekehrt, wie viele Philosophen bei denen ein Übermaß an Platon zur zerebralen Kernschmelze geführt hat, siehe https://theatrum-mundi.de/aesthetisches-empfinden-und-sprache/.
Dasselbe dürfte, wenn auch wesentlich komplizierter, für Gedichte gelten. Liegt das, was das Gedicht beschreibt, nicht bereits unsprachlich vor, verstehen wir es nicht.
And in the naked light I saw
Ten thousand people, maybe more
People talking without speaking
People hearing without listening
People writing songs that voices never share
And no one dared
Disturb the sound of silence
„Fools“, said I, „You do not know
Silence like a cancer grows
Hear my words that I might teach you
Take my arms that I might reach you“
But my words, like silent raindrops fell
And echoed in the wells of silence
Simon & Carfunkel
Eine Welle hat das Lied um den Globus geschickt wegen der Musik, obwohl unter den 23 355 Kommentaren bei youtube auch einige dabei sind, die in dem Song ein tiefgreifendes gesellschaftliches Phänomen beschrieben sehen. Es wird ziemlich viel auf vielen Kanälen kommuniziert, über die Frage, ob Reden Sinn macht, kann man durchaus kontrovers diskutieren. Anschlussfähig ist das Gedicht aber nur, wenn unsprachlich diese Einstellung, also der Eindruck, dass Reden eben nicht allzuviel Sinn macht, geteilt wird.
Dichter machen jetzt alles mögliche, was wissen wir nicht, aber eines können wir bombensicher sagen. Fokusiert ist dieses Volk überhaupt nicht. Der Prototyp des Dichters ist Torquato Tasso im gleichnamigen Werk von Goethe.
Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er, was uns gemein erschien,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu nichts.
Goethe Torquato Tasso
In keiner dieser fünf Zeilen taucht irgendwas auf, was sich auf Sprache bezieht. Genau hinschauen macht jemand, der auf irgendwas fokusiert ist, z.b. der Buchhalter auf den Jahresabschluss. Sein Auge weilt aber kaum auf der Erde. Wer fokusiert, der sammelt Fakten zu einem Thema, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Ziel entscheidungsrelevant sind. Torquato Tasso allerdings sammelt Eindrücke in seinem Gemüt. Er hat eine spezifische emotionale Art der Welt zu begegnen, so dass er Dinge bedeutsam findet, die andere bedeutungslos finden. So ungewöhnlich muss das nicht sein. Es kann schon Leute geben, bei denen sich die Fingernägel hochziehen, wenn irgendein Schwätzer, der noch nichts erlebt hat, verächtlich die Augenbrauen hochziehen, wenn sie jemanden sehen, der in irgendeine Bredouille geraten ist. Die Ablehnung ist dann „intuitiv“ und prompt. Wir brauchen eine unsprachlich vorliegende Hintergrunderfahrung, wenn wir die fünf Verse erfassen wollen, siehe auch https://theatrum-mundi.de/goethe-die-intuition-und-der-deutsche-philologenverband/. Die Welterfahrung liegt unsprachlich vor, wird unsprachlich gemacht und die Intensität der gesammelten Erfahrungen unterscheiden sich dann deutlich. Da hinter Wörtern wiederum Welterfahrung steckt, wir laden Wörter im Laufe unseres Lebens damit auf, könnte die Sprache Unterschiede in der Intensität auch über Wörter zum Ausdruck bringen, oft schaffen Gedichte das aber auch mit Wörtern, die an und für sich neutral sind.
Die Welt zwingt zur Fokusierung. Bestandteil von Haltungsnoten an der Penne ist eben auch die Fähigkeit des Schülers zu fokusieren, andernfalls findet sich im Zeugnis Sätze wie „Andreas ist noch sehr verträumt und hat Probleme sich zu konzentrieren.“ Das Ideal ist die Fokusierung auf ein Ziel, in der Wirtschaft sowieso. Wer fokusiert blendet aus und reduziert die Realtiät auf das, was in einem gegebenen Zusammenhang relevant, realistisch und erreichbar ist. Dagegen wäre an und für sich nichts einzuwenden, allerdings sind die Ziele, auf die fokusiert wird, systemisch vorgegeben und die Fähigkeit des Einzelnen, Systeme zu ändern, sind minimal. Um es mit Adorno zu sagen: Wir wissen im Grunde alle, dass es technische und organisatorische Möglichkeiten gibt, die brennendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Tun wir aber nicht, weil wir alle Gefangene systemischer Zusammenänge sind, siehe auch https://theatrum-mundi.de/makrooekonomie-mikrooekonomie-und-die-demokratie/. Ein bisschen mehr stream of consciousness wäre eine echte Wohltat. Vermutlich ist das eines der vielen Themen, das Virginia Woolf beschreiben wollte.