staunen, nicht ärgern

Sind Eliten Romantik? Probleme mit der Meritokratie

3) Das dritte Argument kann man in den falschen Hals kriegen. Michael Sandel kritisiert den Wissenschaftsbegriff im öffentlichen Diskurs. (Wobei Michael Sandel natürlich keinen Zweifel daran lässt, dass Thesen empirisch belastbar sein müssen, sie also falsifierbar formuliert sein müssen. Ab und veranstaltet er selber eine Materialschlacht mit Statistiken.) Das Problem mit dem Wissenschaftsbegriff in der öffentlichen Debatte besteht darin, dass keine Diskussion über Werte mehr stattfindet, weil eine rationale Entscheidung, die wissenschaftlich fundiert ist, nur noch eine Option zulässt. Zur Perfektion wurde dieser Wissenschaftsbegriff in der VWL ausgebaut. Da gibt es zwar noch eine gewissen Spielraum durch das magische Viereck, also angemessenes Wachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, Inflation und Vollbeschäftigung, aber ansonsten ist alles reine Wissenschaft und letztlich jede Maßnahme alternativlos und wissenschaftlich fundiert. Haben wir aber Eliten, die über Kriterien definiert werden, die keinen Bezug zum Allgemeinwohl haben, dann hat die Öffentlichkeit guten Grund, der Wissenschaft nicht mehr zu vertrauen oder anders formuliert: Die Bereitschaft, etwa im Zusammenhang mit dem Klimawandel, Opfer zu erbringen, sinkt, wenn die Evidenz der Wissenschaft angezweifelt wird, weil nicht davon ausgegangen wird, dass die „Eliten“ tatsächlich am Gemeinwohl interessiert sind und folglich unter dem Mantel der Wissenschaft ihre eigene Agenda vorantreiben. Es macht dann wenig Sinn, den Leuten immer wieder die wissenschaftliche Evidenz zu predigen, weil denjenigen, die sie predigen, fundamental misstraut wird. Trump mag zwar eine etwas krude Figur sein, vielleicht sogar eine ziemlich krude, aber den Leuten in den USA zu erzählen, dass die Stahlproduktion und die Erdölförderung zurückgefahren werden muss und folglich Arbeitslosigkeit alternativlos ist, während die Eliten in Saus und Braus leben, kann nur eine geringe Akzeptanz finden. Sich über die Leute, denen der Arsch auf Grundeis geht, auch noch zu mokieren und sie als Deppen hinzustellen, die halt nicht in der Lage sind, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu durchdringen, macht da wenig Sinn. Anders formuliert: Wir brauchen beim Klimawandel weniger über die wissenschaftliche Evidenz sprechen, als darüber, wer die Last trägt, die mit den einzuleitenden Maßnahmen einhergehen. An diesem Punkt, wird es aber keine Debatte mehr über wissenschaftliche Fakten, die ja im Grunde keiner bestreitet, sondern eine Debatte über Umverteilung.

4) Hängt mit 2) zusammen. Die Frage ist, ob die Entlohnung der Intensität der Arbeit, der Verantwortung, dem Risiko, der psychischen / physischen Belastung entspricht. Das Thema hatten wir schon mal: https://theatrum-mundi.de/die-leistung-und-die-marktwirtschaftliche-ordnung-gerechtigkeit-und-mobilitaet/. Was er diesbezüglich sagt, ist erstmal unstrittig richtig. Es gibt höchst relevante Job, mit einer hohen Verantwortung, großem Risiko, hoher psychischer und physischer Belastung die sehr schlecht bezahlt werden und es gibt völlige Bananenjobs, die ganz hervorragend bezahlt werden. Ein absoluter Bananenjob ist z.B. Romanistik, yep, hat der Autor mal studiert, bis zum Abschluss. Das Risiko ist Null, das schlimmste was passieren kann, ist, dass ein neidischer Kollege, der einzige der den Schwachsinn liest, irgendeine Veröffentlichung kritisiert. Die Verantwortung ist auch Null, da er schlicht gar keine kritischen Tätigkeiten ausführt, die Arbeitsbelastung hält sich in Grenzen und alle paar Jahre gibt es ein Semester Urlaub, das dann „Forschungssemester“ heißt. Also gemütlicher geht nicht, macht so roundabout 6000 Euronen im Monat. Wer allerdings mit einem 40 Tonner quer durch Europa fährt, hat eine enorme Verantwortung und ein enormes Risiko. Da reicht unter Umständen ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit und der Schaden ist gewaltig. Das macht dann so 2000 Euro im Monat. Die psychische und physische Belatung einer Altenpflegerin dürfte höher sein, als die eines Richters etc. etc. Programmieren kann richtig schwierig sein und unter Umständen 10 Jahre Berufserfahrung nach dem Studium voraussetzen. Ein Gymnasiallehrer studiert und erzählt dann 30 Jahre lang denselben Quark. Also zwischen Verdienst und Tätigkeit besteht eigentlich überhaupt kein Zusammenhang, wobei das in der strikten Logik der marktwirtschaftlichen Ordnung auch nicht vorgesehen ist, da geht es rein nach Angebot und Nachfrage. Würde man Produkte und Dienstleistungen nach dem Nutzen bewerten, würde ein Kilo Mehl 10 000 Euro kosten und ein Kilo Diamanten 1 Euro, den letztere haben einen enormen Nutzwert und letztere eben einen sehr geringen, anders formuliert, auf Diamenten kann man auch langfristig verzichten, bei Mehl wird das schon schwieriger. Trotzdem ist Mehr ziemlich billig, das Kilo kostet nicht mal ein Euro, und Diamenten eben sehr teuer, weil wir bei Mehl zur hohen Nachfrage eben auch ein entsprechendes Angebot haben, während bei Diamanten die hohe Nachfrage auf ein geringes und natürlich beschränktes Angebot stößt. Das Thema war auch schon mal da: https://theatrum-mundi.de/die-leistung-und-die-marktwirtschaftliche-ordnung-gerechtigkeit-und-mobilitaet/. Wären die Löhne und Gehälter tatsächlich vollkommen flexibel, würden die Leute aus riskanten, psychisch und physisch belastenden, verantwortungsvollen etc. Jobs aussteigen, der Lohn würde da steigen, und sich weniger riskanten, weniger psychisch und physische belastenden und weniger verantwortungsvollen Jobs zuwenden. Das wiederum setzt aber eine hohe Mobilität voraus und die Grenzen der Mobilität sind durch die Rahmenbedingungen gesetzt. Der Staat bestimmt z.B. wie viele Studienplätze er in Medizin oder in einem anderen Numerus Clausus Fach zur Verfügung stellt und er bestimmt auch die Kriterien. Würde man z.B. bei Medizin nicht die Abiturnoten aller Fächer nehmen sondern nur die Noten der wirklich relevanten Fächer, Biologie, Chemie, Mathematik, Physik hätte man ein anderes Ergebnis, also wenn auch noch Deutsche, Geschichte, erste / zweite Fremdsprache etc. mitgerechnet wird. Nicht dass der Autor dafür plädieren würde, aber es ist klar, dass dann die Karten neu gemischt werden. Die Anzahl der Richter legt der Staat fest. Wie viele Rechtsanwälte also Richter werden können, bestimmt letztlich der Staat. Hätten wir hier Entlohnungen nach den Gesetzen des Marktes, würde die Besoldung von Richtern sinken, weil viele am Hungertuch nagende Rechtsanwälte dann Richter werden könnten und die Löhne würden, bei gleicher Nachfrage nach Richtern aber größerem Angebot sinken. Wie radikal sich die Situation durch eine Änderung der Marktbedingungen ändern kann, zeigt auch das Beispiel Uber. Hatte ein Taxiunternehmen ein paar Lizenzen für Taxis, die von der Gemeinde vergeben wurden, dann war das eine sichere Bank. Das hat sich, wenn auch in Deutschland noch nicht so richtig weil der Gesetzgeber die Taxiunternehmen noch schützt, in z.B. den USA zu einer völlig neuen Situation geführt. Auf einmal gab es für Millionen von Leuten ganz neue Optionen. In Miami z.B. gibt es praktisch nur noch Uber, wobei die Uberfahrer ganz überwiegend aus dem spanisch sprechenden Raum kommen. Betrachtet man die Anzahl der Schüler mit Abitur, ist der von 14,7 Prozent im Jahre 1975 auf 39,1 Prozent im jahre 2021 gestiegen. Also fast eine Verdreifachung, wobei die Beseitigung dieser Nadelöhr noch nicht bedeutet, dass auch die anderen sichtbaren und unsichtbaren Zugangsbeschränkungen beseitigt wurden. Eine größere Mobilität auf dem Arbeitsmarkt würde zu einer Entlohnung führen, bei der die tatsächliche Belastung stärker honoriert wird. Kompatibel mit der marktwirtschaftlichen Ordnung wäre eine hohe Entlohnung, die auf Knappheit beruht, also auf einem speziellen Talent. Nicht kompatibel mit der marktwirtschaftlichen Ordnung ist eine Entlohnung, die auf Restriktionen beruht.

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