Religion ist dann also lediglich eine etwas primitive Form der Aufklärung, hat aber letztlich denselben Zweck.
Völlig anders bei Feuerbach. Bei Feuerach ist Religion sozusagen der Spiegel dessen, was der Mensch will und verlangt und insofern kommt ihr ein objektiver Wahrheitsgehalt zu, auch wenn die Rollen etwas vertauscht sind. Bei dieser Version ist es sozusagen der Mensch, der sich seinen Gott erschafft.
Dann gibt es noch, vermutlich gibt es noch ein paar Hundert davon, die Variante Benedikt XVI, nämlich dass sich nur aus der Religion, bzw. aus dem Glauben an einen Gott, die Würde des Menschen ableiten lässt. Die Würde kommt ihm zu, weil er von Gott erschaffen wurde. Da würde der Autor sagen, dass Benedikt XVI an einer manifesten psychischen Krankheit leidet. Wer nur über diesen Umweg dem Menschen eine Würde zusprechen kann, wem also Gefühle wie unmittelbare Empathie völlig abgehen, der könnte z.B. an einer narzistische Persönlichkeitsstörung leiden. Diese wäre bei gegebenen Schweregrad beandlungsbedürftig. Mal abgesehen davon, dass psychisch gesunde Menschen auch Empathie für Tiere empfinden. Ganz ohne jede Theorie.
Die Frage, ob Religionen, vor allem die monotheistischen, nicht totalitär sind, wird eigentlich nur im Zusammenhang mit den afghanischen Taliban, Al Qaida und ähnlichen Verrückten diskutiert. Schaffen sie es einen „Staat“ zu schaffen, errichten sie eine totalitäre Herrschaft reinsten Wassers, die alle, auch die persönlichsten Lebenszusammenänge, Kleidung, Haarschnitt, Familienplanung, Erziehung, Beruf, Religion etc. erfasst. Es gibt keinen Bereich mehr, der ausgespart bleibt. Das ist noch totalitärer, als der Nationalsozialismus oder der Stalinismus. Die Fakten an sich sind so nichtssagend wie leicht ermittelbar, siehe auch https://theatrum-mundi.de/was-machen-eigenlich-historiker-irgendwas-zwischen-verstehen-erklaeren-beschreiben-interpretieren-illustrieren-erlaeutern-und-unterhalten/. Aus der mehr als 2000 jährigen Erfahrung mit der christlichen Religion und 5000 jährigen Erfahrung mit vorchristlichen, vorislamischen und vorjüdischen Religionen ließen sich jetzt natürlich eine unendliche Masse an Fakten heranschleppen, die eine unterschiedliche Interpretation zulassen. Wir hätten dann Naturverbundenheit in vielen animistischen Religionen, die nie auf totale Kontrolle der Gesellschaft zielten, einen echten Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft, wie etwa im frühen Christentum oder eben Religion als Instrument zur Durchsetzung von Interessen und Machterhalt im Mittelalter. Wie jede Ideologie ist die Geschichte wohl nie einseitig, das ist wohl immer „halb zog es mich, halb fiel ich hin“. Es gibt wohl keine Ideologie, die der nicht zumindest in der Phase der Entstehung ein Substrat vorlag, auf dem sie gedeihen konnte, auch wenn später etwas daraus wurde, was mit den ursprünglichen Intentionen gar nichts mehr zu tun hatte. Religion greift ein und setzt an an höchst privaten Lebensverhältnissen und schafft sie es, hier einzudringen, sind ihre Möglichkeiten enorm. Den Umschlag von Reaktion auf real existierende Verhältnisse zur puren Ideologie beschreibt Heinrich Heine in Deutschland ein Wintermärchen.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Zustandsbeschreibung ist richtig und lässt sich empirisch belastbar in vielen Gesellschaften, etwa im Spanien der Nachkriegszeit, empirisch belastbar darstellen. Es gab eine enge Verflechtung zwischen Großgrundbesitzern, Bankiers, Industriellen, Militär und Angehörige des Regimes. Religion war ein Instrument, die Leute, die letztlich die fleißigen Hände waren, im Zustand der Unmündigkeit zu halten. Das gelingt z.B. dadurch, dass man das ganze irdische Dasein als Jammertal darstellt, wo es keine Verbesserung der Verhältnisse geben kann. Verlagern die Leute ihre Hoffnung ins Jenseits, ist weniger damit zu rechnen, dass sie im Diesseits an der Verbesserung der Zustände arbeiten. Vermutlich erklärt das teilweise auch die Radikalität der Taliban. Wenn Ankunft nur im Jenseits gelingen kann, der utopische Horizont also nicht vorhanden ist, ist einem das Diesseits a) ziemlich egal und b) ist der Sinn für gesamtgesellschaftliche Visionen dann eher gering. Es geht dann nur noch um Macht um der Macht willen, ohne eine konkrete Vorstellung, was man damit eigentlich anfangen will.