Zumindest bei diesem Thema scheint, liest man sich die Forenbeiträge durch, z.B. hier https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/inflation-steigende-energiepreise-koennten-ezb-zum-handeln-zwingen-a-39fc3556-1103-492c-bad3-b01bde9a690f und so gefühlte 1 Million anderer Zeitungsartikel, Einigkeit zu herrschen: Zinsen müssen hoch sein. Das kann eigentlich nur daran liegen, dass sich in Foren vor allem Leute äußern, die Geld auf irgendwelchen Konten haben. Leuten, die kein Geld auf dem Konto haben, kann das ja eigentlich egal sein.
Diese Leute sind dann recht anspruchsvoll. Sie wollen, dass sich irgendjemand ihr Geld ausleiht und damit eine Investition anschiebt, die es erlaubt, ordentliche Renditen zu erwirtschaften, damit aus ihrem Geld eben noch mehr Geld wird und wenn sich niemand findet, der das kann, schmollen sie. Konstruktiver wäre es natürlich, sie würden ihr Geld schnappen und selber das super heiße start up gründen, das diese Renditen abwirft. Diese Leute haben Unlustgefühle, aber so richtig keine Theorie.
Also nochmal kurz und knapp, ausführlich ist das hier: https://www.economics-reloaded.de/pdf-Dateien/Keynes_Buch.pdf. Diese Leute dürften verlangen, dass Geld einen Preis hat, also den Zins, wenn Geld ein knappes Gut wäre. Geld ist aber kein knappes Gut. Das wird gedruckt und solange es Papier gibt, kann man davon unendlich viel drucken. Genau genommen braucht es dafür nicht mal Papier, denn man kann auch einfach eine Null an die aufgedruckte Nummer anhängen, dann gibt es gleich noch viel mehr Geld. Was also im Überfluss vorhanden ist, hat keine Preis. Das ist wie mit Sand in der Wüste Sahara. Solange es also noch irgendeine Investition gibt, die zumindest eine Rendite von 0,00 Prozent erwirtschaftet, kann man Geld drucken. Es reicht vollkommen, wenn der Kredit getilgt wird, also das que Kreditvergabe geschafffene Geld hinterher qua Kredittilgung wieder vernichtet wird. Wird der Kredit nicht getilgt, wäre das natürlich schlecht, denn dann würde die Geldmenge ständig zunehmen und irgendwann hätten wir dann eine Ausdehnung der Kaufkraft, die das Angebot überfordert. Also Inflation. Von diesem Fall abgesehen, darf der Zins aber ewig Null sein. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dass eine Investition abgewürgt wird, nur weil irgendein Phantasiezins nicht bedient werden kann. Wollen die Leute, die der Meinung sind, dass ihr Geld zuwenig Rendite abwirft, mehr Rendite sehen, müssen sie halt mit ihrem Arsch vom Sofa und ein Unternehmen gründen, dass die gewünschte Rendite erwirtschaftet. Sich darüber zu beschweren, dass es niemand gibt, der den ersehnten Preis für ihr Geld bezahlen kann und will, ist etwas kindisch.
Das oben Beschriebene gilt immer und es gibt nur eine Ausnahme: Die Vollbeschäftigung. In der Vollbeschäftigung macht der Zins tatsächlich Sinn. In der Vollbeschäftigung haben wir einen trade off zwischen der Produktion von Konsumgütern und der Produktion von Investitionsgütern. In der Vollbeschäftigung kann man z.B. entweder z.B. Autos bauen oder die Roboter, die anschließend die Produktivität erhöhen, so dass man anschließend noch mehr Autos bauen kann. In einer Situation der Vollbeschäftigung muss man also die Leute dazu bringen, ihre alte Karre noch drei Jahre länger zu fahren. Dann würden weniger Autos gebaut, dafür würden also weniger Resourcen gebraucht und mit den freiwerdenden Resourcen kann man dann Roboter bauen. Das geht zwar nicht von heute auf morgen und die Umstellung dauert ein bisschen, da knirrscht es dann im Gebälk, aber langfristig haut das hin. Und wie kriegt man die Leute dazu, ihre Karre drei Jahre länger zu fahren? Richtig. Indem man den Zins anhebt. Das ist dann ein Incentiv, der bewirkt, dass mehr gespart wird.
Das mal in aller Kürze, für Details siehe Link oben, https://www.economics-reloaded.de/pdf-Dateien/Keynes_Buch.pdf. Soweit ist die Sache aber klar. Gibt es keinen trade off zwischen der Produktion von Konsumgütern und der Produktion von Investitionsgütern, kann der Zins Null sein, genau genommen, sollte er sogar Null sein. Die Leute können ein bisschen sparen um für die Widrigkeiten des Lebens gewappnet zu sein, aber ansonsten sollen sie ihr Geld ausgeben. Dann sind alle glücklich. Ein Incentiv, damit ein Gut vermehrt wird, das letztlich keiner haben will, macht keinen Sinn.
Derzeit haben wir aber eine dritte Situation. Wir haben einen externen Schock durch steigende Energiepreise. Die Inflation wird also nicht getrieben durch eine Kaufkraft, die das Angebot übersteigt, auf den müsste die EZB reagieren, so weit so klar, sondern einen externen Schock und auf den will die EZB Direktorin Schnabel auch mit einer Zinserhöhung reagieren, siehe https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/inflation-steigende-energiepreise-koennten-ezb-zum-handeln-zwingen-a-39fc3556-1103-492c-bad3-b01bde9a690f, und in dieser Situation ist es weit weniger klar, ob man auf einen externen Schock mit einer Zinserhöhung reagieren kann.
Haben wir es mit einer Situation zu tun, bei der die Kaufkraft das Angebot übersteigt, wird durch eine Zinserhöhung das Problem gelöst. Die Produktion von Konsumgütern geht zurück, die Resourcen, die für eben diese Produktion verwendet wurden, werden frei für die Produktion von Investitionsgütern und in der nächsten Periode können wir mehr Konsumgüterproduzieren. Der Zins hat eine makroökonomische höchst sinnvolle Funktion. Das ist, soit dit en passant, die Welt der klassischen Nationalökonomie, also Adam Smith und Co, die ja, wie Keynes zutreffend feststellte, in der Regel nicht unsere Welt ist.