staunen, nicht ärgern

Bedeuten die Grenzen meiner Welt die Grenzen meiner Sprache oder bedeuten die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt

Bekanntlich sieht Wittgenstein in seinem Tractatus Logico-Philosophicus das so: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.

 

Man beachte das adjektivisches Possessivum mein. Das mein verweist auf eine Subjektivität, die aber in dem ganzen Werk nicht vorhanden ist. Eigentlich müsste Wittgenstein, folgt man seiner Logik so formulieren: Die Grenzen der Sprache, sind die Grenzen der Welt.

Wie ist das Teil aufgebaut? Im Grunde handelt das ganze Werk von den Beziehungen innerhalb der Welt, nicht aber von der Haltung des Subjekts gegenüber der Welt. Es handelt also vom verstehen im Sinne von erkennen von Kausalzusammenhängen. Es handelt aber nicht von verstehen im Sinne von verstehen einer subjektiven Haltung gegenüber der Welt. Das sollte man trennen. Den mit ersterem beschäftigen sich die Naturwissenschaften, mit letzterem die Geisteswissenschaften. (Also zumindest im Idealfall, in der Praxis ist das meistens anders, siehe www.die-geisteswissenschaften.de)

Die schlichte These, von der Wittgenstein ausgeht, ist nun, dass die Sprache, insbesondere eben philosophische Termini, Dinge beschreibt, die keine Beziehungen innerhalb der Welt beschreiben und foglich sinnlos sind. Auf Zusammenhänge außerhalb der Welt, kann sich die Sprache nicht beziehen und folglich kann man darüber auch nicht reden. Konkreter: Auf das hegelianische Nichts, bzw. den Weltgeist, bzw. das Absolute und was es sonst noch alles gibt bei Hegel, kann sich die Sprache nicht beziehen, denn die Begriffe beziehen sich nicht auf Beziehungen innerhalb der Welt.

Zugrunde liegt also ein Verständnis von verstehen, wie wir es in den Naturwissenschaften haben. Nur hiervon handelt der ganze Tractatus Logico-Philosophicus. Im Grunde ist es eine Spielart des Positivismus und ein Beitrag zur Erkenntnistheorie. Wenn er da bleibt, also bei der Erkennistheorie, dann geht das auch in Ordnung.

Bemerken könnte man noch, dass die Beziehung des Subjekts zum Objekt, also der Welt, auch zur Gesamtheit der Tatsachen gehört. Wenn er dann auch noch das adjektivische Possessivum den zwei Substantiven voranstellt, ist die Haltung des Subjekts zu den Beziehungen innerhalb der Welt sogar expressis Verbis genannt. Wenn es meine Welt gibt, dann gibt es auch noch deine, seine und ihre Welt und die Weltanschauung ist eine ziemlich bedeutsame Tatsache, schließlich kann diese ja für Millionen von Leuten den Tod bringen, wenn man sich diesbezüglich nicht einig wird.

Mit Sätzen à la „worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, verlässt er aber den Bereich der Erkenntnistheorie. Es gibt sehr viele Gründe, sehr viele gute Gründe, über die Haltung des Subjekts dem Objekt gegenüber zu sprechen.

Die Haltung der Welt gegenüber geschieht mit „vollem Körpereinsatz“. Was sich an Haltung gegenüber der Welt mittels Sprache ausdrückt, ist nur ein winziger Bereich dessen, was die Haltung gegenüber der Welt bestimmt. Hätten wir ein rein sprachliches Problem, bräuchten wir auch keine Psychologen.

Evolutorisch erscheint die Logik von Wittgenstein nicht besonders plausibel. Evolutorisch enstehen Wörter, weil es in der Welt Zusammenhänge gibt, die die Sprache referenziert. Neue Wörter entstehen wenn etwas Neues in die Welt eintritt und offensichtlich entstehen auch neue Wörter, Existentialismus, Nihilismus, wenn eine neue Haltung in die Welt tritt.

Das apodiktisch vorgetragene Statement macht also umgekehrt, dann sogar mit adjektivischem Possessivum, mehr Sinn: Die Grenzen meiner Welt, sind die Grenzen meiner Sprache.

Sprache bezieht sich im übrigen erstmal auf gar nichts. Die Sprache ist, ab einem bestimmten Punkt der Evolution, schon da, bevor wir in die Welt eintreten und sie wird auch weiter bestehen, wenn wir diese wieder verlassen. Im Laufe des Lebens erhalten dann die Elemente der Sprache über verschiedene Wege eine Bedeutung, wobei diese Wege durchaus undurchsichtig sein können. Der Leser dieser Zeilen kennt den Unterschied zwischen lächeln und grinsen, aber niemand wäre in der Lage genau zu sagen, wann und wie er von diesem Unterschied erfahren hat. Ob uns jemand angrinst oder anlächelt, würden wir auch merken, wenn es sprachlich nicht unterschieden wird, nur könnten wir den Unterschied niemandem mitteilen. (Der Unteschied wird im übrigen gar nicht in allen Sprachen gemacht, auf Spanisch wäre Grinsen risa sardónica. Also im Spanischen müsste man das irgendwie umschreiben.) Dem Spracherwerb liegt aber immer eine Erfahrung mit der Welt zugrunde. Zu erst erfolgt die Erfahrung mit der Welt und dann lernt man, so es etwas passendes gibt, welches Wort zu dieser Erfahrung passt und je nachdem, welche Erfahrungen der einzelne macht, was also seine Welt ist, bildet sich auch seine Sprache, wobei aber keineswegs gewährleistet ist, dass die Sprache seine ganze Welt abdeckt. Die menschliche Mimik z.B. ist, zumindest bei manchen Leute, viel differenzierter und vielschichtiger und verweist auf eine komplexere Wahrnehmung, als die Sprache. Wir können zum Beispiel niemandem erzählen, wie ein dritter auf eine schlechte Nachricht reagiert hat, wenn er dabei ausgeatmet hat und „puh“ sagte. (Wobei bei „puh“ der Schrecken nicht allzu groß war. Wenn er leichenblass geworden wäre, hätten wir eine andere Nummer. Die Augenbrauen hochziehen kann ganz unterschiedliche Haltungen ausdrücken, aber wir haben eben nur Augebrauen hochziehen im Angebot. Ob hiermit Überraschung, Zweifel, Verachtung ausgedrückt wird, muss dann näher erläutert werden.)

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