Popper hat es mit dem Historizismus, Platon, Hegel und Marx sind die Wurzeln allen Übels, also die Hauptverantwortlichen für Totalitarismus, von Stalin bis Hitler. Wie das funktionieren soll ist unklar, zumindest bleibt unklar, wie konkret erstere letztere denn beeinflusst haben sollen, wobei das aber noch ein minor problem ist, denn entscheidend für totalitäre Systeme sind die Mechanismen, mit welchen diese durchgesetzt werden und die Ideologie dahinter hat lediglich instrumentellen Charakter und ist beliebig, siehe hier https://economics-reloaded.de/7_kritischer_Rationalismus/Karl_Popper/7_1_die_offene_Gesellschaft.htm.
Ist man Popper wohlgesonnen, hält man ihm zugute, dass er ein Phänomen erklären wollte, dass man im Grunde nicht erklären kann, wodurch mangels Alternativen seine Erklärung überzeugte. Ist man ihm weniger gut gesonnen, würde man sein Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feind, Platon, Hegel, Marx und die Folgen“ als Marketing Coup bezeichnen, denn im Grunde lässt sich die Aussage in einem Satz zusammenfassen: Demokratie kontrolliert Macht. Eine Regierung, die weiß, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden kann nach der nächsten Wahl, ist gut beraten, sich zivilisiert zu benehmen, den sie kann nach eine Regierungswechsel zur Rechenschaft gezogen werden. Für diese Erkenntnis braucht man weder eine philosophische Abhandlung über Platon, noch über Hegel, noch über Marx, mal ganz abgesehen davon, dass sich als ideologischer Überbau totalitärer Systeme auch noch zahlreiche andere Kandidaten anbieten, z.B. religiöser Fundamentalismus. Historizismus haben wir im übrigen auch bei David Ricardo, dem Übergott aller Marktradikalen, z.B. Hayek, mit denen Popper ja eine symbiotische Beziehung in der Mont Pèlerin Society einging. Bei David Ricardo ist das ewige Elend der Bevölkerung vorprogrammiert, die vegetieren bis in alle Ewigkeit auf dem Existenminimum dahin. Verdienen sie mehr, kriegen sie mehr Kinder, was wiederum den Lohn wieder auf das Existenzminimum drückt. (David Ricardo war also ein echter Komiker. Sein ganze Denken kreist um das Wachstum der Wirtschaft und wie man dieses fördert, wobei allerdings die Verelendung der Bevölkerung ad calendas graecas festgeschrieben ist. Unter diesen Auspizien kann man sich ja fragen, wieso die Wirtschaft wachsen soll.)
Totalitarismus ist nichts, was sich durch schöngeistige Debatten über Platon erklären ließe. Es ist ein psychologisches Problem. Zielführender ist es, wenn man einzelne Aspekte aus diesem Blickwinkel heraus untersucht, wie dies z.B. Adorno tut in dem Werk „Studien zum autoritären Charakter“. Das beschreibt zwar nur den Charakter der vom autoritären System Beherrschten und warum diese sich durch ein autoritäres System beherrschen lassen, bzw. dieses unterstützen, aber es ist ein zielführender Ansatz. Die Demokratie ist eine Medizin, die das Ausbrechen der Krankheit verhindert. Um den Virus allerdings aus der Welt zu schaffen, müsste man wissen, wie er funktioniert und da hilft das Geschwafel über Platon gar nicht. Dass der verfehlte Ansatz von Popper jetzt in jeder zweiten staatstragenden Rede auftaucht und der naheliegendere Ansatz von Adorno, das Problem mal mit empirische belastabaren Daten zu untersuchen in Vergessenheit geraten ist, ist nicht zielführend.
Aber nicht unser Thema im Moment. Unser Thema ist, dass Bloch den Historizismus, also dass, was Popper für das Grundübel der Menschheit hält, also die Vorstellung, dass die Geschichte nicht von den Entscheidungen der Menschen abhängt, sondern unerbittlich auf ein finale furioso zusteuert, noch viel massiver kritisiert als Popper. Die Kritik Poppers an Bloch ist nur mit dessen totaler Unkenntnis der Schriften Blochs zu erklären, denn an Deutlichkeit, in Bezug auf Hegel, lässt es Bloch nicht fehlen.
Gewiß, Hegel sah in dem Fürsichsein der Idee, das sein Ultimatun ist und worin der Prozeß wie in einem Amen aushallt, das Primum des Ansichseins der Idee nicht nur reproduziert, sondern erfüllt: die „vermittelte Unmittelbarkeit“ ist im Fürsichsein errreicht, statt der unvermittelten im Anfang des bloßen Ansichseins. Aber dieses Resultat blieb, wie in jeder einzelnen Gestaltepoche des Weltprozesses, so auch in seiner Gesamtheit, hier dennoch ein zyklisches; es ist der vom Novum gänzlich freie Kreislauf der Restitution in integrum [Bloch zitiert Hegel]: „Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein in sich selbst schließender Kreis,… das Ganze stellt sich als ein Kreis von Kreisen dar.
aus: Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Band I, Seite 234
Wir können dem Abschnitt entnehmen, dass Popper Bloch wohl gar nicht gelesen hat. Machen wir uns kurz klar, was Bloch da sagt. Der Weltgeist in statu nascendi ist bei Hegel ein Baby, das zwar alles, was es mal sein kann schon in sich trägt, aber sich dessen noch nicht bewusst ist und erst wenn sich das potentiell Vorhandende konkret in die Weltgeschichte entladen hat, wird sich das Baby bewusst, was es eigenlich ist. Es kommt aber nichts neues in die Welt. Die Krux bei Bloch ist eine völlig andere. Bei Bloch gibt es einen ewig offenen Horizont, der von den technischen Bedingungen, den sozialen Verhältnissen, der politischen Organisation ständig nach vorne geschoben wird, mit offenem Ausgang, wobei das Denken von Bloch tatsächlich um das summum bonum kreist, also um die Frage, wie wir wissen können, wohin die Reise gehen soll. Es geht Bloch also nicht nur darum, den offenen Horizont darzustellen, sondern auch die Richtung, in welcher selbiger verschoben wird, wobei letzteres die eigentlich schwierige Frage ist. Popper plädiert lediglich für den offenen Horizont, das ist aber leider ohne Nennung der Richtung nicht besonders zielführend. Näheres siehe https://economics-reloaded.de/7_kritischer_Rationalismus/Karl_Popper/7_1_die_offene_Gesellschaft.htm