staunen, nicht ärgern

Subjekt Objekt

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn‘ Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

Auch bei diesem Gedicht scheint es weniger auf das Wie und Was der Subjekt <=> Objekt Beziehung anzukommen; entscheidend ist nur, dass eine solche Beziehung überhaupt besteht. Im Bereich der Ästhetik haben wir es also mit ganz anderen Bewertungen zu tun, als in der Realität. Vermutlich wären wenig Leute von einer Stadt begeistert, um die eintönig die Stille kreist. Wobei auch die Stille, die eintönig um die Stadt kreist, mit Humor genommen werden kann.

Die Formulierung „Bereich der Ästhetik“ zerfließt da etwas, weil keine der gängigen Definitionen von Ästhetik so richtig passt. Mit der Definition Hegels, das Schöne ist das Scheinen der Idee, können wir nun gar nichts anfangen, bzw. die These ist nicht empirisch belastbar formuliert. Interesseloses Wohlgefallen à la Kant passt auch nicht. Die Rezeption als solche kann durchaus interesselos sein, also außer der Konsumption keinen anderen Zweck verfolgen, aber die Intensität der Konsumption hängt ab von dem Interesse, das dem Objekt, was ja immer ein Abbild eines realen Objektes ist, in der Realität zugeschrieben wird. Auf Deutsch: Es wird nie ein Gedicht, Lied, Bild etc. über einen Ziegelstein geben, weil uns der Ziegelstein schlicht egal ist. Es gibt aber sehr viele Gedichte über Städte, soziale Bewegungen und Verhältnisse, Einstellungen zur Welt, zum Leben, zum Tod etc.. Hinsichtlich bedeutender Momente der Welterfahrung sind wir absolut nicht interesselos und wird diese Welterfahrung ästhetisch verarbeitet, dann sind wir da nicht interesselos. Interesseloses Wohlgefallen mag es geben, z.B. wenn man von einem hohen Berg in die Ferne schaut, aber im übrigen ist das interesselose Wohlgefallen ziemlich abstrakt. Die meisten Defintionen von Ästhetik starten von einem abstrakten philosophischen Konstrukt in das dann die ästhetische Wahrnehmung so eingebaut wird, dass es zum Gesamtsystem passt, allerdings mit dem, wie die ästhetische Wahrnehmung spontan geschieht, nichts zu tun hat. Etwas näher an der Realität liegt man, wenn man ästhetische Wahrnehmung als Eröffnung eines Möglichkeitsraum auffasst. Darauf stellt Ernst Bloch ab. Es ist naheligend, dass ein geistiges Artefakt, dass von aller Trägheit der Materie befreit ist, sehr viel einfacher Vollkommenheit darstellen und damit zeigen kann, wohin die Reise gehen soll, als die Realität, die sich ziemlich träge nach vorne bewegt. Ein anderer Aspekt, der zumindest partiell stimmt, ist das Moment des Nichtidentischen. Kunst ist sozusagen das vermittelt Unmittelbare um es mit Adorno zu sagen. Vermittelt insofern, als sie Ausdruck ist der gesellschaftlichen Verhältnisse und umittelbar insofern sie diese Verhältnisse unmittelbar so wieder gibt, wie sie sich im Bewußtsein spiegeln, näheres unter anderem hier: https://theatrum-mundi.de/das-genie-der-schriftsteller-und-die-hermeneutik/. Kunst kann auch einen rein mimetischen Effekt haben. In diesem Fall wird durch Nachahmung ein vertieftes Verständnis erlangt. Jeder, der jemals geschauspielert hat, kennt das. Man „versetzt sich dann in eine Rolle“, was über eine simple Nachahmung hinausgeht. Dieses „sich-hinein-versetzen“ spielt auch beim Verfassen eines Romans eine Rolle. Thomas Mann z.B. bekundet, dass sein Dr. Faustus ihn psychisch mitgenommen hat.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es dürfte bzgl. der ästhetischen Wahrnehmung wesentlich zielführender sein, sich auf die jeweilige Erfahrung einzulassen anstatt den Versuch zu starten, jede Art von ästhetischer Erfahrung unter abstrakten Begriffen zu subsumieren.

Will man eine abstrakte Formulierung finden für das, was die ästhetische Erfahrung so einigermaßen umfasst, dann wäre das eine Option: Die ästhetische Erfahrung verleiht dem Abbild des Objektes eine Bedeutung. Die Intention der Bedeutung kann man streckenweise nachvollziehen und streckenweise eben nicht. Zeigt uns ein Roman, wie Leute durch ungewöhnliches Verhalten mal ein paar Probleme lösen anstatt durch gewöhnliches Verhalten einen Haufen Probleme zu schaffen, so kann man hoffen, dass der Funke vom Abbild des Objektes auf das Objekt überspringt. Dass eine ästhetische Erfahrung sich jeder Begrifflichkeit entzieht, ist unmittelbar einsichtig. Könnte die Wirkung eines Gemäldes, eines Musikstückes, eines Gedichtes durch die Beschreibung der Artefakte erklärt werden, dann bräuchten wir sie nicht.

Unabhängig davon gibt es aber auch eine ästhetische Erfahrung, deren Existenz zwar offensichtlich ist, für die es aber keine Erklärung gibt. Bei einer ästhetischen Erfahrung, die lediglich darauf abzielt, dem Abbild des Objektes eine Bedeutung zuzumessen, ist kein realer Nutzen erkennbar. Vorstellbar ist höchstens, dass es den Blick auf das reale Objekt verändert. Das Abbild des Objektes im Artefakt verfügt meist über einen Überschuss, wodurch es subjektiv bedeutsam wird. Allerdings wird die Angelegenheit jetzt ziemlich spekulativ.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert