Das erste Gebot
Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Vorbemerkung: In der Politikwissenschaft, eben besonders bei Hannah Arendt, wir unterschieden zwischen autoritären Systemen und totalitären Systemen. Das autoritäre System sanktioniert lediglich den aktiven Widerstand, das totalitäre System verlangt die völlige Hingabe an das System bei allen Aspekten des Lebens, Erziehung, Schule, Beruf, Freizeit, Privatleben etc… Im Einzelfall dürfte die Unterscheidung schwierig sein, weil natürlich bei beiden Systemen durch negative oder positive Anreize ein systemkonformes Verhalten erzwungen wird. Die Frage ist dann nur noch, in welchen Bereichen diese Anpassung erzwungen wird. Für die Psyche dürfte die Unterscheidung gewaltige Unterschiede ausmachen. Bei totalitären Systemen werden die Menschen eher dazu neigen, ihre inneren Überzeugungen vollkommen aufzugeben, umso die Diskrepanz zwischen den Forderungen des Systems und der inneren Überzeugung aufzuheben. So was hat man dann in Nordkorea. Bei lediglich autoritären Systemen, verbleibt ja zumindest im privaten Umfeld noch ein Freiraum, wo man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann.
Das Phänomen Religion wird unter einer weiten Palette von Aspekten diskutiert. Für Adorno ist Religion die Fortsetzung des Mythos, wobei der Mythos eben die Welt erklärt und sie damit beherrschbar macht. Vordergründig ist es natürlich nicht besonders zielführend, wenn man Poseidon ein Opfer darbringt, damit der die Schiffe nicht auf den Meeresboden schickt, aber es ist der Versuch, die Naturgewalten zu beherrschen. Ein Moment, dass wir ja in allen Religionen inklusiv der Naturreligionen finden. In den monotheistischen Religionen wurde das dann noch perfektioniert. Hat sich das auserwählte Volk mal wieder daneben benommen, und irgendein Grund, warum die Leute der Meinung sein konnten, sich mal wieder daneben benommen haben findet sich immer, dann verlieren sie halt beim Auszug ins gelobte Land mal wieder eine Schlacht, was aber nicht weiter tragisch ist, denn ein strafbarer Gott existiert und kann beeinflusst werden. Schlimmer ist ein nicht existierender Gott.
Vordergründig sind Religionen völlig irrational und der Aufklärung diametral entgegengesetzt. In gewisser Weise bilden sie aber ein kohärentes System der Welterklärung und Sinnverfüllung. Was geeignet ist, aus diesem System hinauszutreiben, etwa Musik, die ist nicht nur bei den afghanischen Taliban verboten, sonder unterlag auch starken Einschränkungen in Spanien nach dem zweiten Weltkrieg, ist entweder total verboten, wie in Afghanistan, oder eben legitim nur, wenn im Zusammenhang mit kultischen Zwecken. Die Aussage an sich, nämlich dass Musik eine ziemlich irrationale Angelegenheit ist, ist nicht mal falsch. Sie offenbart die letzten und verwinkelsten Sehnsüchte der Menschheit und kümmert sich herzlich wenig um die Möglichkeiten der rationalen Umsetzung. Sie ist sozusagen der utopische Horizont, der immerhin schon erfahrbar ist. Das Problem ist, die Taliban und das franquistische Spanien, um mal ein Beispiel zu nennen, wollen genau da bleiben, wo sie sind, denn das zementiert ihre Machtstellung.
Adorno erläutert den Zusammenhang an einem anderen Beispiel. Odysseus lässt sich an den Mast binden und verhindert so, dass der Gesang der Sirenen sein Untergang wird. Seine Kumpane haben sich die Ohren zugestopft. Also nur dadurch, dass er seine Gefühle verneint, kann er überleben, wobei eben ohne Gefühle, niemand im eigentlichen Sinne überlebt. Gefühllos ist man eben nur, wenn man tot ist. Als er dann zwischen zwei Schafen aus der Höhle des Polyphem entkommen kann und dieser ihn fragt, wie er heiße, antwortet er, dass sein Name Niemand sei. Er ist niemand mehr, weil er selber zum Objekt geworden ist.
Von der Religion her führt dann ein Weg zu einer Naturbeherrschung, bei der letztlich auch das Subjekt Objekt der Beherrschung wird. Religion hat das gleiche Ziel, wie die Aufklärung. Sie will die Welt beherrschbar machen, auch wenn die Unterschiede hinsichtlich Effizienz natürlich dramatisch sind.
„Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt.“
Wer sich jetzt konkret was darunter vorstellen will, bzw. sich das an einem Beispiel klar machen will: Die marktwirtschaftliche Ordnung ist an und für sich ein Produkt der Aufklärung und Adam Smith, Wealth of Nations, das erste Buch, dass die Effizienz und Steuerungmechanismen marktwirtschaftlicher Ordnungen untersucht. Daraus ergibt sich dann, wie sich Menschen sinnvoller Weise verhalten müssen, damit maximale Effizienz erreicht wird, soll heißen Steuerung der Resourcen über den Wettbewerb. Das heißt aber wiederum, dass die gesamte Tätigkeit auf den Markt ausgerichtet ist, als Waren produziert werden, die vor allem einen Tauschwert haben und die unter Konkurrenzdedingungen. Da bleibt nicht mehr viel Spielraum für eine individuelle Entwicklung. Michel Sandel unterscheidet dann folgerichtig zwischen dem Instrument, der market economy, und der market society, wo eigentlich alles zum Verkauf steht, inklusiv Überzeugungen, Neigungen, moralische Werte, Gefühle.