staunen, nicht ärgern

Subjekt Objekt

Schläft ein Lied in allen Dingen
die da singen fort und fort
und die Welt hebt an zu singen
findst du nur das Zauberwort

Joseph von Eichendorff

Die Dinge sind das Objekt, also die Welt, die dem Subjekt erstmal stumm gegenüber steht. Das Lied der Welt schläft, ist also für das Subjekt erstmal nicht vernehmbar, obwohl es singt. Findet das Subjekt aber nun das Zauberwort, dann wird das Lied der Welt für das Subjekt vernehmbar. So weit so nett, aber Probleme bereitet das Zauberwort. Dass es da einen Universalschlüssel gibt, ein Zauberwort, das das Orchester der Welt auf eine Schlag vernehmbar werden lässt, kann man bezweifeln.

In der Welt als solcher schläft auch kein Lied, ohne Subjekt, gibt es kein Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt und die Welt ist stumm wie ein Fisch. Das Lied ruht ziemlich eindeutig eher im Subjekt als im Objekt. Treffender ist da schon das Wort Lied, das abstrakt das Spannungsfeld beschreibt, denn das Wort Lied macht keinerlei Aussagen über die Qualität dieses Spannungsverhältnisses. Weiter addressiert das Wort Lied eine rein ästhetische Beziehung zur Welt und das ist was ganz was anderes, als die höchst reale Beziehung zu eben selbiger. Für das Lied ist die Qualität der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt nicht entscheidend. Entscheidend ist nur, ob und dass eine Beziehung besteht.

[Bekanntlich problematisiert Adorno diesen Sachverhalt. Auch Ausschwitz kann zum Lied werden; oder, weniger dramatisch aus heutiger Sicht, die desastres de la guerra von Francisco Goya, Guernica von Pablo Picasso, A escrava Isaura von Bernardo Guimarães etc. etc. mutieren bei der Emigration in die Sphäre der Ästethik zu etwas ganz anderem. Es soll ja auch Leute geben, die auf Horrorfilme stehen, obwohl man echten Horror live in colour jederzeit haben kann.]

Der Titel des Gedichts von Eichendroff ist Wünschelrute. Wünschelrute ist ein Teil, mit dem sich verborgene Energien im Erdreich aufspüren lassen. Das geht dann in die gleiche Richtung. Das Lied ruht in den Dingen und lässt sich mit der Wünschelrute aufspüren.

Bekanntlich war Goethe kein echter Fan der Romantik. Damit die Welt nicht stumm ist, also ein Lied ertönt, muss das Subjekt mit dem Objekt sich irgendwie auseinandersetzen.

Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig;
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet,
Sich über Wolken seines gleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt läßt sich ergreifen.

Faust II

In die gleiche Richtung gehen dann die Gedichte Kronos, schwebender Genius über der Erdenkugel, Prometheus. Ob allerdings das Objekt durch die Tätigkeit des Subjekts erklingt bzw. nicht stumm ist oder durch eine Wünschelrute zum klingen gebracht wird, ist letztlich ziemlich egal. Wesentlich kurioser ist, dass in beiden Fällen nichts über die Qualität des Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt ausgesagt wird und in der Sphäre der Ästhetik scheint dies auch ziemlich egal zu sein. In der Sphäre der Ästhetik reicht es, dass eine Subjekt <=> Objekt Beziehung besteht, die Welt also nicht stumm ist, welcher Art diese Beziehung ist, ist ziemlich egal und das ist ziemlich kurios.

Machen wir uns das mal an einem Beispiel klar. Die chilenische Stadt Valparaíso hat eine (inoffizielle Hymne), die stammt von Osvaldo Rodriguez.

Valparaíso

von seiner Geschichte weiß ich nichts
eines Tages kam ich einfach so dort auf die Welt
der alte Hafen bewachte meine Kindheit
mit einem Gesicht kalter Gleichgültigkeit
weil ich nicht arm geboren wurde und immer
eine schwer fassbare Angst vor der Armut hatte

Ich will euch erzählen was ich beobachtet habe
damit wir uns besser kennen lernen
der Bewohner befestigte die Straßen
der Regen bleichte die Treppen
ein Mantel aus Traurigkeit bedeckte
die Hügel mit den Straßen und die Kinder

Es kam das Unwetter und der Nieselregen
mit seiner Last aus Sand und Müll
so oft kam der Tod vorbei
der Tod der Valparaíso in Trauer stürzte
und dann immer wieder der Wind
der das Gesicht dieses verwundeten Hafens reinigte

Aber dieser Hafen fesselt wie der Hunger
man kann nicht leben, ohne ihn kennen gelernt zu haben
ihn nicht betrachten, ohne Sehnsucht zu verspüren
nach dem Teer, dem Südwind, den Angelschnüren,
dem Krabbenfischer der mit Traurigkeit erfüllt
unsere Küstenlandschaft

von seiner Geschichte weiß ich nichts
eines Tages kam ich einfach so dort auf die Welt
der alte Hafen bewachte meine Kindheit
mit einem Gesicht kalter Gleichgültigkeit
weil ich nicht arm geboren wurde und immer
eine schwer fassbare Angst vor der Armut hatte

Das Lied bringt es auf beachtliche 560 Kommentare und 2 Millionen Aufrufe. Man könnte jetzt vermuten, dass der Text egal ist und das Ding wegen der Musik so viele Aufrufe hat. Das berühmteste Gedicht von Theodor Storm ist allerdings das.

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